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Von Konsum, Kohle und Katzen – Der BUND Sachsen stellt sich vor Copyright BUND Sachsen, Carola Kunze

Von Konsum, Kohle und Katzen – Der BUND Sachsen stellt sich vor

geschrieben von  Anne Schicht, Jutta Wieding Sep 23, 2016

Der BUND ist seit 2014 Mitglied beim ENS e.V. Im Dresdner Büro auf der Kamenzer Straße trafen wir Jutta Wieding zum Gespräch.

 

 

Fairquer: Seid wann gibt es den BUND Sachen?

Jutta Wieding: Der BUND Sachsen hat im vergangenen Jahr seinen 25. Geburtstag gefeiert. Der Bundesverband Deutschland hat sich aber schon 1975 aus verschiedenen regionalen Umweltverbänden zusammengeschlossen. Danach haben sich die Landesverbände herauskristallisiert. Nach der Wende wurden die BUND Landesverbände in den Ostbundesländern gegründet und schon im Dezember 1989 auch in Sachsen.

 

Fq: Warum habt ihr euch gegründet?

JW: Der BUND Bundesverband hat sich aus der Anti-Atombewegung heraus gegründet. Das war eines der zentralen Anliegen für die Gründungsmitglieder. Sie hatten den Anspruch Umwelt- und Naturschutz in einem politischen Kontext zu setzen, ganzheitlich zu denken. Sie wollten jenseits der sprichwörtlichen „Kröten über die Straße tragen“-Aktionen globale Zusammenhänge von Umweltproblemen adressieren, auch diejenigen, die durch unser Verhalten und unsere Konsummustern entstehen.
In Sachsen wurde der BUND gegründet um hier nach der Wende sowohl praktischen Naturschutz zu leisten als auch die „großen“ umweltpolitischen Themen anzugehen.

 

Fq: Wie viele Mitglieder habt ihr?

JW: Bundesweit eine halbe Million, und in Sachsen sind wir gerade in einer Phase des starken Mitgliederwachstums, momentan haben wir fast 5.000 Mitglieder.

 

Fq: Wie erklärt ihr euch den starken Mitgliederzuwachs?

JW: Das hat verschiedene Gründe. Es gab vor einigen Jahren einen Umbruch im Vorstand des BUND Sachsen. Wir sind von der eher klassischen Naturschutzrichtung in eine politische Richtung gegangen und haben „Nachhaltigkeit“ wieder als ganzheitliches Thema vorangetrieben. Das hat zwar zu einigen Austritten geführt, auf der anderen Seite haben aber viele Menschen gesagt: Das ist ein Verband, mit dem wir uns identifizieren können. Die Mitgliederentwicklung gibt unserem Ansatz also Recht. Zum anderen machen wir wie fast alle anderen großen Verbände und Organisationen professionelle Mitgliederwerbung, und sprechen Menschen auf der Straße an, ob sie Mitglieder werden wollen. Und drittens sind Umweltthemen wieder stärker auf der Agenda der Menschen. Klimawandel kommt immer wieder als brennendes Thema aufs Tableau. In Sachsen wollen Menschen dagegen aktiv werden, dass Massentierhaltungen in ihrer Umgebung gebaut werden; Glyphosat und die die TTIP-Verhandlungen sind weitere wichtige Themen, die Menschen dazu anregen, politisch aktiv zu werden und zu sagen: Wir setzen uns jetzt aktiv dafür ein, dass sich unsere Gesellschaft so weiter entwickelt, wie wir das eigentlich wollen.

 

Fq: Ist der Mitgliederzuwachs altersmäßig durchmischt?

JW: Traditionell hat der BUND in Sachsen einen relativ hohen Altersdurchschnitt und wir verjüngen uns jetzt durch die neuen Mitglieder. Grundsätzlich treten aber Menschen in allen Altersstufen, Frauen wie Männer bei. Allerdings ist sehr auffällig, dass wir zur Zeit vor allem einen Mitgliederzuwachs in den großen Städten verzeichnen und weniger in den ländlichen Regionen. Das ist schade.

 

Fq: Was sind eure derzeitigen Projekte?

Eines der beliebtesten BUND-Projekte – ihr seht hier schon überall die Katzen im Büro stehen – ist das Wildkatzenprojekt. Die Wildkatze ist eine bedrohte Art, die sich in Deutschland und auch in Sachsen gerade wieder zu verbreiten beginnt. Für ihr Überleben benötigt sie große, zusammenhängende, lichte Mischwaldgebiete. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass die Wildkatze sich nur in Regionen ansiedelt, in der sie kaum in Kontakt zu Menschen kommt. Jetzt haben wir sie sensationeller Weise im Leipziger Auwald, obwohl wir bislang davon ausgegangen sind, dass die Wildkatze aus Bayern, Thüringen und Tschechien via Vogtland wieder zu uns zurückkehrt.
Die Wildkatze ist für uns eine Symboltierart, mit der sich jeder Katzenliebhaber identifizieren kann und steht für unsere Forderung, ein deutschlandweit zusammenhängendes Biotopnetz zu knüpfen, damit Wildtiere frei wandern und dadurch überleben können.
Bei unserem Projekt geht es darum zu schauen, wo es Wildkatzen gibt. Denn dort, wo die Wildkatze lebt, ist die Natur auch in anderer Hinsicht gesund, so werden über die Wildkatze auch abstraktere Themen wie Biodiversität oder der Flächenfraß ins Bewusstsein der Menschen gebracht. In unserem Projekt werden Ehrenamtliche eingebunden, indem sie Lockstöcke in Wäldern verteilen, an denen sich die Wildkatzen reiben. Zurückbleibende Haarproben werden analysiert.

Ein anderes großes Projekt war die bundesweite Glyphosatkampagne, die von März bis Juni 2016 lief. Bei dem Neuzulassungsverfahren der EU sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass Glyphosat ein Gift ist, das wir nicht im Essen haben wollen. Nach Studien, die gezeigt haben, dass Glyphosat vermutlich krebserregend ist, haben wir gesagt, das ist ein Risiko, das wir nicht eingehen wollen. Von den ursprünglich 12 Jahren Zulassungsverlängerung ist die Zulassung vorläufig auf 18 Monaten reduziert worden. Damit war unsere Kampagne sehr erfolgreich. Glyphosat war auch hier wieder das Kommunikationsmedium, um zu sagen, dass wir eine nachhaltige Landwirtschaft brauchen, eine giftfreie und eine extensive Landwirtschaft, die Biodiversität schützt und Bodendegradation verhindert.

 

FQ: Die Weltgemeinschaft hat die Sustainable Development Goals verabschiedet. Wie nehmt ihr diese wahr?

JW: Der BUND nimmt das sehr präsent wahr. Insbesondere auf Bundesebene spielt alles rund um Nachhaltigkeit eine große Rolle. In den neunziger Jahren gab es zwei Studien – Zukunftsfähiges Deutschland 1 und 2 – die gemeinsam mit Brot für die Welt und misereor herausgegeben wurden. Die sind immer noch ein große Referenzpunkte des BUND. Heute diskutieren wir das oft im Kontext einer Wachstumskritik. Diese ist nicht unbedingt aus einer Kapitalismuskritik heraus begründet, sondern eher aus einer Konsumkritik. Es ist unmöglich, unbegrenztes Wachstum zu generieren, denn die Ressourcen auf dieser Welt sind endlich. Also wenn wir über eine Energiewende sprechen, die übrigens nicht nur im Stromsektor passieren sollte, sondern auch in anderen Bereichen wie Mobilität, Wärme und im Nahrungsmittelbereich, müssen wir auch darüber reden, wie wir unseren Konsum einschränken können. Es geht nicht nur darum, Kohlekraftwerke durch erneuerbare Energien zu ersetzen oder die Wärmeeffizienz dadurch zu steigern, dass wir bessere Dämmung einbauen, sondern auch den Verbrauch und damit die Emissionen zu reduzieren, wenn es keine technischen Lösungen gibt. Zum Beispiel entstehen durch die Produktion von Fleisch Emissionen, die zu einem großen Teil nicht verhindert werden können – außer wir essen weniger Fleisch und beseitigen so die Ursache für die Entstehung der Emissionen. An dieser Stelle sprechen wir von Suffizienz.

 

Fq: Wo wollt ihr in fünf Jahren stehen?

JW: Der BUND ist sehr heterogen. Ich denke, so viele Mitglieder wie wir haben, so viele Antworten würden wir bekommen. Mir persönlich wäre es wichtig, dass es in fünf Jahren einen sinnvollen Ausstiegsplan aus der Braunkohleförderung in Sachsen gibt, dass wir klare Umsetzungsrichtlinien für das Klimaabkommen von Paris haben auf Bundes- wie auf sächsischer Ebene und einen sächsischen Maßnahmenkatalog, mit dem Sachsen seinen Beitrag für die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf maximal 1,5° C leistet. Und außerdem wünsche ich mir ganz viele neue aktive Menschen, die uns bei unserer Arbeit unterstützen.

 

Fq: Wie finanziert ihr euch?

JW: Wir finanzieren uns vor allem durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Wir gehen keine Unternehmenskooperationen ein, um unsere Unabhängigkeit insbesondere gegenüber der Wirtschaft zu garantieren und sind stolz auf diesen Weg. Schließlich beantragen wir noch Drittmittel und Projektförderung von Ministerien und von Stiftungen, wobei diese auch auf Unternehmensnähe geprüft werden.

 

Fq: Merkt ihr mit den wachsenden Umweltproblemen eine größere Offenheit der staatlichen Fördergeldgeber gegenüber euren Themen?

JW: Ja und nein. Unser kritischer Umgang mit der Landespolitik und die Verlagerung weg von rein klassischen Naturschutzprojekten macht staatliche Förderung eher schwierig. Antibraunkohlearbeit zum Beispiel wird natürlich nicht gefördert. Dennoch bemerken wir seit dem Vorstandswechsel im BUND Sachsen eine größere Offenheit der staatlichen Fördermittelstellen uns gegenüber.

 

Fq: Inwieweit werden Betroffene bei der Vorbereitung und Durchführung einbezogen?

Der BUND hat ganz viele Mitglieder, die eigentlich selbst betroffen sind. Wir haben Mitglieder aus Bürgerinitiativen oder Interessengruppen bei uns im Verband, die sagen: Uns stinkt, dass vor unserer Haustür eine neue Straße gebaut werden soll! Uns stinkt, dass wir die Schweinemastanlage direkt vor unserer Haustür haben! Und deshalb engagieren wir uns und organisieren uns in einem Verband, der die Möglichkeit hat, Klagen durchzuführen und eine politisch hörbare Stimme hat. Wir können also sagen, wir ziehen die Betroffenen nicht mit ein, sondern wir sind die Betroffenen. Die andere Variante ist, wir klagen in einem Klagebündnis mit anderen Organisationen gegen zum Beispiel die Erweiterung des Tagebaus Nochten. Hierbei agieren wir als Verband stellvertretend für die potentiell Betroffenen – lokal durch die Vernichtung von landwirtschaftlichen Flächen oder einer Hausstatt und global für die Leidtragenden des Klimawandels. In unserem Klagebündnis sind aber auch Privatkläger aus der Region vertreten. Schließlich legen wir sehr viel Wert auf Kooperationen mit den aktiven Gruppen vor Ort.

 

Fq: Aber manchmal ist es doch bestimmt schwierig, denn es gibt ja meistens auch Gruppen vor Ort, die unterschiedlicher Ansicht sind.

JW: Ja, denn es gibt unterschiedliche Motivationen, gegen einen Eingriff in die Umwelt vor der eigenen Haustür zu sein. Das zeigt sich auch im Braunkohleprotest: Der BUND ist gegen eine weitere Förderung und Verbrennung der Braunkohle insgesamt, nicht nur im Gebiet Nochten. Das sehen einige Anwohner*innen dort anders.

Wir sind nicht nur gegen die Braunkohletagebaue, um die Leute vor Ort zu schützen, sondern weil Braunkohle Verursacher von Treibgasen und damit für den Klimawandel verantwortlich ist und der ist ein globales Problem. Es ist nicht alleiniges Recht oder Pflicht der Menschen in der Oberlausitz gegen Braunkohle zu protestieren, sondern es ist durchaus legitim, dass andere Menschen kommen und ihre Meinung kundtun.

Gerade weil wir so ein breit aufgestellter Verband sind, haben wir auch immer wieder innerverbandliche Konflikte da, wo sich Naturschutz und Umweltschutz nur schwer vereinbaren lassen. Diese Konflikte lösen wir im innerverbandlichen Dialog. Das muss ein Verband mit unseren Ansprüchen im Natur- und Umweltschutz aushalten – und tut es auch!

 

Fq: Was muss passieren, damit Ressourcen weltweit gerechter verteilt werden?

JW: Die Menge an Ressourcen, die verbraucht und Emissionen, die in den Industrie- und zunehmend den Schwellenländern produziert werden, muss drastisch reduziert werden. Ich glaube, wenn man fossile Energieträger hoch bepreisen würde, sei es durch eine Steuer, sei es durch einen funktionierenden (!) Emissionshandel oder Förderquoten, würde man relativ schnell zu einer gerechteren Umverteilung kommen. Das bedeutet allerdings, dass wir unsere Alltagsgewohnheiten und gesellschaftlich akzeptierte Konsummuster zum Beispiel in Bezug auf Mobilität, Fleischkonsum und Abfallproduktion komplett überdenken müssen.

 

Fq: Wenn du Alleinherrscherin wärst, du könntest die Geschicke der Welt bestimmen, wo würdest du anfangen?

JW: Ich glaube, ich würde zunächst überall demokratische Strukturen einführen. Kein Mensch allein kann gescheite Entscheidungen treffen. Es ist sehr wichtig, dass Menschen im Diskurs Entscheidungen miteinander treffen. Und dann würde ich schauen, dass es eine gleichmäßige Verteilung von Ressourcen und einen gerechten Zugang zu Bildung gibt. Menschen sollten dadurch befähigt werden, ihre Rechte einzufordern und die gesellschaftlichen Diskurse zu führen. Ach ja, und ich würde Autos aus den Innenstädten verbannen. (Gelächter und Zustimmung bei den Anwesenden)

 

Fq: Was war dein deprimierendstes Ereignis?

JW: Was mich am meisten deprimiert ist, wenn wir mit viel Mühe Veranstaltungen organisieren, von denen wir denken, dass sie sehr gut sind und dann feststellen, dass sie nur wenige interessieren. Und ich halte viele Vorträge zum Thema Kohle und regelmäßig kommt die Frage, ob der Klimawandel wirklich eine ernsthafte Bedrohung ist. Das sind für mich immer Momente, in denen ich innerlich aufseufze.

 

Fq: Was war dein motivierendstes Ereignis?

JW: Für mich sehr motivierend war, zu sehen, wie das mit dem Atomausstieg vorangegangen ist. Als ich begann, aktiv zu werden, gab es bereits den beschlossenen Atomausstieg. Als dann der Regierungswechsel kam, gab es den Ausstieg aus dem Ausstieg, gegen den haben wir sehr stark gekämpft. Wir sind in dieser Zeit häufig auf die Straße gegangen, ich habe irre viele Stunden in Plenumssitzungen verbracht, bei denen wir überlegt haben, wie wir weiter vorgehen – erfolglos. Und dann war es ein gutes Gefühl nach dieser furchtbaren Katastrophe in Fukushima, dass es nicht mehr möglich war, politisch den Nichtatomausstieg zu halten, eben weil wir mit der Bewegung so kontinuierlich auf der Straße waren – diese Grundlage fehlte in anderen Ländern, in denen es nicht zum Atomausstieg gekommen ist. Das war ein Gefühl, dass wir tatsächlich was bewegen können, und das setzt sich jetzt weiter mit der Bewegung gegen das TTIP-Freihandelsabkommen fort. Wenn wir laut sind, wenn wir viele sind und wenn wir beharrlich sind, können wir tatsächlich was verändern.

 

Fq: Vielen Dank für das Gespräch.

Mehr zum BUND Sachsen: www.bund-sachsen.de

 

 

>>>>>>>>> Lebenslauf Jutta Wieding >>>>>>>>

 

Jutta Wieding, geboren 1987, ist Mitglied im Landesvorstand Sachsen des BUND und Vorsitzende der BUND Regionalgruppe Dresden. Bis vor kurzem agierte sie als Landesgeschäftsführerin in Vertretung beim Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) Sachsen. Außerdem ist sie freiberufliche Moderatorin für Umweltverbände und Projektentwickler und arbeitet an der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik Leipzig i.V.m. der Universität Rostock, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät. Studiert hat sie Internationale Beziehungen mit dem Schwerpunkt Internationale Organisationen.

Letzte Änderung am Donnerstag, 20 Oktober 2016 13:48

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