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Eines der erklärten Ziele der deutschen G20-Präsidentschaft war die Einleitung einer „neuen Partnerschaft mit Afrika“. Deren zentrale Säule und das Prestigeprojekt der Bundesregierung ist die „Compact with Africa“-Initiative, die vom Bundesfinanzministerium koordiniert wird. Die Initiative zielt auf die massive Ausweitung von privaten Investitionen nach Afrika, um damit vor allem Infrastrukturprojekte zu finanzieren. In Afrika sollen dadurch Jobs und Wohlstand entstehen und Fluchtursachen bekämpft werden. Doch die Initiative kommt mit Risiken.

Was genau ist der „Compact with Africa“?

Bei den „Compacts“ handelt es sich um „Investitionspartnerschaften“ zwischen als reformwillig geltenden afrikanischen Ländern, den internationalen Finanzinstitutionen und G20-Partnerländern. Die afrikanischen Staaten verpflichten sich zu Reformen, die sie für (ausländische) Investoren attraktiver machen. Die internationalen Finanzinstitutionen und bilateralen Partner unterstützen sie dabei durch technische und finanzielle Hilfe. Durch die politische Unterstützung der G20 sollen private Investoren mehr Vertrauen in die ausgewählten Länder gewinnen. Jedes Land handelt ein individuelles Maßnahmenpaket mit den beteiligten Partnern aus. Alle afrikanischen Länder wurden zur Teilnahme an der Initiative eingeladen. Der Einladung bislang gefolgt sind der Senegal, die Elfenbeinküste, Tunesien, Marokko, Ruanda, Ghana und Äthiopien.

Mehr öffentliche Entwicklungshilfemittel gibt es dabei ausdrücklich nicht. Aus dem bestehenden Entwicklungshaushalt wurden lediglich 300 Millionen Euro unter dem Etikett „Marshallplan mit Afrika“ abgezwackt, die den bislang drei „Compact“-Ländern der Bundesregierung – Tunesien, Ghana und die Elfenbeinküste – für Projekte etwa im Bereich der erneuerbaren Energien oder der Finanzmarktentwicklung zur Verfügung stehen.

Die nächsten G20-Präsidentschaften haben bereits signalisiert, dass sie die Initiative weiter aufgreifen wollen, so dass mehr Länder hinzukommen können. 2018 liegt die G20-Präsidentschaft bei Argentinien, das bereits überlegt, die Initiative auch auf nicht-afrikanische Länder auszuweiten.

Probleme mit dem „Compact with Africa“: Wachstum für wen?

Compact with Africa ist der jüngste Ausdruck eines einseitigen Entwicklungsdiskurses, der auf privates Kapital als alleinigen Heilsbringer setzt. Staatliche Entwicklungshilfe habe versagt, heimische Ressourcen reichen nicht, man müsse nun auf private Investoren setzen, die Afrika mit Milliardensummen „helfen“ sollen. Öffentliche Mittel sollen vor allem zur Absicherung der (ausländischen) privaten Investitionen eingesetzt werden.

Dass ausgerechnet jetzt auf die massive Ausweitung privater Investitionen für Afrika gesetzt wird, liegt vor allem an den Auswirkungen der Niedrigzinspolitik seit der globalen Finanzkrise zur Ankurbelung der Konjunktur in den reichen G20-Ländern. Jede*r Sparer*in in Deutschland etwa spürt die Auswirkungen dadurch, dass er oder sie auf sein Erspartes keine Zinsen erhält. Die in reichen Ländern ansässigen Pensionsfonds, Banken und Unternehmen erhalten auf ihre Anlagen ebenfalls so gut wie keine Rendite, müssten aber aufgrund ihrer Zahlungsverpflichtungen etwa im Bereich der Alterssicherung Renditen über dem Nullniveau erwirtschaften. Also sind sie anderswo auf der Suche nach rentablen Anlagemöglichkeiten. Im Kern geht es beim „Compact with Africa“ also weniger um Entwicklungshilfe als um ein innenpolitisches Ziel: Afrika soll für private Anleger*innen erschlossen werden. Die Bundesregierung erklärt dies auch in aller Offenheit, wenn sie sagt, dass sie Afrika für westliche Pensionsfonds attraktiv machen will. Denn in Afrika sind noch hohe Renditen zu holen, liegen hier doch einige der gegenwärtig weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften.

Risiken werden ausgeblendet

Während Schäuble und Co sich viele Gedanken um die Absicherung möglicher Risiken für Investoren machen, blenden sie die Risiken für die afrikanischen Empfängerländer, etwa steigende Schulden, fast vollständig aus.

Dabei sind nach Recherchen von erlassjahr.de aktuell bereits 43 afrikanische Länder von Überschuldung bedroht. In einer derartigen Situation ist die massive Ausweitung von privater Kreditvergabe nur dann zu verantworten, wenn im Falle einer resultierenden Schuldenkrise die Möglichkeit für Schuldenerleichterungen geschaffen wird. Genau dafür sorgt der „Compact with Africa“ aber nicht. Das „African Forum and Network on Debt and Development“ zusammen mit dem „Africa Development Interchange Network“, die eine Konsultation mit zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen aus 40 afrikanischen Ländern organisierten, kritisieren in einer Stellungnahme diese Lücke. Der „Compact“ diskutiere zwar die bessere Überwachung von Schuldenrisiken, doch die Lösung einer eingetretenen Krise würde einfach ausgeklammert. Natürlich ist gegen eine bessere Überwachung von Schuldenrisiken nichts zu sagen, aber nur, weil man eine Gefahr schneller erkennt, heißt das noch nicht, dass man sie auch bewältigen kann.

Dabei müssten die Architekten der „Compact“-Initiative nur in der Geschichte zurückblicken. Der sogenannten „Schuldenkrise der Dritten Welt“ in den 1980er und 1990er Jahren gingen massive Kapitalexporte in den Globalen Süden in Form von Krediten von privaten Banken voraus, die in den 1970er Jahren wegen niedriger Rendite in den reichen Ländern nicht wussten wohin mit ihrem Geld. Als dann globale Zinsen stiegen und Preise für die Exportgüter der Schuldnerländer fielen, wurden viele Schuldnerländer zahlungsunfähig. Weil es keine angemessenen Entschuldungsverfahren gab, dauerte die Lösung der Schuldenkrise rund 20 Jahre, mit dramatischen Konsequenzen für die Menschen in den betroffenen Ländern sowie hohen Kosten für die Steuerzahler*innen in reichen Geberländern, deren Regierungen mit Rettungsgeldern dafür gesorgt hatten, dass die privaten Gläubigerbanken weniger Verluste hinnehmen mussten. Lernen die G20 nicht aus den Erfahrungen der Vergangenheit, riskieren sie, dass sich die Geschichte wiederholt.

Rechtzeitig vorsorgen

Um das zu verhindern, hätten die G20 bei ihrem Gipfel in Deutschland die Gelegenheit nutzen müssen, vorsorglich verbindliche Regeln zur Lösung von Schuldenkrisen zu schaffen. Im März 2017 untermauerten die G20 Finanzminister*innen in ihren Beschlüssen, dass eine Schuldenkrise nur gelöst werden kann, wenn Schuldenerleichterungen von allen Beteiligten mit gutem Glauben, geordnet, zeitig und effektiv verhandelt werden können. Doch die bestehenden Verfahren können das nicht bieten, weshalb die Lösung von Schuldenkrisen oft unnötig lang und mit hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten verschleppt wird. Die Staats- und Regierungschef*innen bei ihrem Gipfel in Hamburg haben es versäumt, den Faden wieder aufzugreifen und die globale Finanzarchitektur an dieser Stelle zu verbessern. Vorherige Versuche an anderer Stelle, ein umfassendes internationales Entschuldungsverfahren zu schaffen, sind meist am Widerstand einiger G20-Länder gescheitert. Damit setzen die G20 die Entwicklungserfolge der vergangenen Jahrzehnte aufs Spiel, obwohl sie angeben, mit dem „Compact with Africa“ für Entwicklung sorgen zu wollen.

Was kann „ich“

Sowohl die Initiative als auch globale Schuldenkrisen werden im nächsten Jahr nicht einfach wieder verschwunden sein. Inwieweit die neue Bundesregierung dafür sorgt, dass sich in der Politik etwas in Richtung faire Entschuldungsverfahren bewegt, werden wir abwarten müssen. Dafür ist der Druck aus der Zivilgesellschaft und die Einforderung von Rechenschaft bei politischen Entscheidungsträger*innen entscheidend. 2018 plant erlassjahr.de daher verschiedene Aktionen und Veranstaltungen, um mit Entscheidungsträger/innen ins Gespräch zu kommen und sie zum Handeln aufzufordern.

Angaben zur Person:

Kristina Rehbein ist politische Referentin bei dem Bündnis erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung e.V. Bei erlassjahr.de ist sie u.a. für die Geschäftsführung, Kampagnen und die Region Afrika zuständig. Kristina Rehbein studierte Kulturwissenschaften und Globale Entwicklung und arbeitet seit 6 Jahren bei erlassjahr.de.

Die Vereinten Nationen brauchen Unterstützung. Vor zwei Jahren beschlossen sie die Agenda 2030 und das Pariser Klimaschutzabkommen. Das war keineswegs selbstverständlich. Aber die Beschlüsse stehen. Soweit die gute Nachricht. Das Problem: die UNO selbst ist in einem saft- und kraftlosen, dahinsiechendem Zustand.

Dabei wurde sie 1945 gegründet, damit sich eine Katastrophe wie der 2. Weltkrieg nie wieder ereignet. Ihre Charta ruht auf vier Pfeilern:

  • dem Recht eines jeden Volkes auf Souveränität und die von ihm gewählte Regierungsform

  • der Verhinderung von Kriegen zwischen den Staaten notfalls durch militärisches Eingreifen

  • dem Schutz der Menschenrechte aller Bewohner des Planeten sowie

  • der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit überall auf der Welt. (1)

Doch dann nahm die Entwicklung eine andere Richtung, die kaum jemand vorhergesehen hatte. Im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung der Weltwirtschaft gewannen Oligarchien des Finanzkapitals die Oberhand. Wer verbirgt sich dahinter?

Wolfgang Kessler nennt in Anlehnung an HHans-Jürgen J. Jakobs Schattenbanken, Staatsfonds und Datenkonzerne Zu ersteren gehören globale Vermögensverwalter, Pensionskassen oder Hedgefonds. Sie verwalten das Vermögen von Stiftungen, Versicherungen, Konzernen und superreichen Einzelnen. Sie vergeben auch Kredite und beteiligen sich an Unternehmen. Schattenbanken unterliegen in ihren Anlagemöglichkeiten nicht den Regulierungsmechanismen der Kreditinstitute. Das verleiht ihnen ungeheure Macht. Der größte Vermögensverwalter, genannt Blackrock (schwarzer Fels) ist an allen dreißig DAX-Konzernen beteiligt. Die zehn größten Fonds dieser Art legen jährlich mehr als 20.000 Milliarden US-Dollar an. (Zum Vergleich: das jährliche Bruttoinlandsprodukt aller Mitgliedsländer der EU liegt bei 16.000 Milliarden Dollar.) Damit Konzerne Geld von diesen Verwaltern erhalten, müssen sie auf speziellen Konferenzen nachweisen, die gewünschte Rendite zu erzielen. Andernfalls neigt sich der Daumen der Vermögensbosse nach unten. Deshalb pressen die Konzerne ihre Lieferketten aus wie Zitronen. Die Frage ist nicht, ob es ethische Grenzen gibt, sondern wie sie bei diesem „squeezing“ (Evi Hartmann) „besser“ werden als ihre Konkurrenten.

Bei den Staatsfonds sind die der arabischen Staaten (Abu Dhabi Investment Authority oder Kuwait Investment Authority) besonders mächtig. Nicht wenige Konzerne wie Deutsche Bank, Daimler, Volkswagen oder der Schweizer Rohstoffmagnat Glencore hängen von ihnen ab. Auch chinesische Staatsfonds gewinnen durch die Exportüberschüsse Chinas zunehmend an Einfluss. (2)

So wurde die staatliche Aufgabe, das Allgemeinwohl zu schützen, mehr oder weniger überlagert vom Gesetz des Profits. Aus dem internationalen Wirtschaftssystem, in dem sich Binnenwirtschaften und Außenhandelsbeziehungen der Staaten klar trennen und bestimmen ließen, entwickelte sich eine transnationale Wirtschaft. In ihr geben die Beschleunigung der weltweiten Kapitalbewegungen und die Bewertung nationaler Standorte durch den Markt den Ton an.

Die Oligarchien entziehen sich jeder Kontrolle, sei sie staatlich, zwischenstaatlich, parlamentarisch oder welcher Art auch immer. Für sie gilt das Gesetz der rücksichtslosen Konkurrenz durch Fusion, Zerschlagung oder Aufkauf von Unternehmen. Moralische oder ethische Forderungen im Sinne der UN-Charta spielen keine Rolle. Gerade die Auslagerung sozialer und ökologischer Kosten erhöht ja die Gewinne der Konzerne und lässt die Werte ihrer Aktien an der Börse steigen. (1)

Diese Logik ist nicht neu. Seitdem es Imperien gibt, werden Vorteile nach „Innen“ und Nachteile in ein „Außen“ verlagert. Stephan Lessenich nennt dieses Prinzip Externalisierung. Kapitalistische Gesellschaften funktionieren schon immer so, wenn auch in historisch wechselnder Gestalt und in sich ändernden globalen Konstellationen. Heute sind Großkonzerne und Staatenlenker*innen in ihrer Macht begrenzt und nicht allein für diesen Prozess verantwortlich. Ohne das stille Einvernehmen bzw. die aktive Beteiligung großer gesellschaftlicher Mehrheiten würde er nicht funktionieren. (3) Darin liegt die Möglichkeit, sich von dieser Lebensweise zu verabschieden. Die Chancen für diese Einsicht stehen nicht schlecht. Immer mehr Argumente sprechen für den Wandel.

Niemand kann erklären, warum acht Menschen so viel Vermögen besitzen sollen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (Oxfam Studie).

Das Wissen um die Stoffkreisläufe nimmt zu. Da haben zum Beispiel Eine-Welt-Läden, Umweltbewegungen u.a. einiges erreicht. Es gibt professionelle Bildungsangebote. Doch ein den Erkenntnissen entsprechendes Verhalten bleibt ebenso ungleich zurück wie es der ökologisch-soziale Tausch selber ist, auf dem die Externalisierungsgesellschaft beruht. Soja, Palmöl, Baumwolle, Sand, Garnelen, Kaffee, Fleisch etc. pp – alles schon mal gehört. Dann aber weitergemacht wie bisher. Lessenich sieht in einer „unbestimmten Mischung aus Bequemlichkeit und Unwohlsein, Sorglosigkeit und Überforderung, Gleichgültigkeit und Angst – ein verallgemeinertes Nicht-wissen-Wollen“, im Kleinen wie im Großen. „Wir möchten nicht wissen, was es mit unserem Leben auf großem Fuß eigentlich so auf sich hat: was dafür herhalten muss, wo dafür gearbeitet wird, wer dafür bezahlt. Vor allem wollen wir nichts wirklich Grundsätzliches darüber hören, wollen wir nicht die Systemfrage stellen.“

Es geht hier nicht um einen moralischen Appell und nicht um das Übersehen jener, die mit ihrem Lebensstil längst Postwachstumsperspektiven aufzeigen. Es geht um die Transparenz von Externalisierungsstrukturen. Diese können weder ohne noch durch individuelles Verhalten allein durchbrochen werden. Ökologische Nachhaltigkeit bleibt unmöglich, wenn Systemmerkmale wie Wachstum, Kapitalrendite und Investorenvertrauen nicht angetastet werden. Wer wirklich allen Weltbürgern ein würdevolles Leben wünscht, muss nach Lessenich die Externalisierungsgesellschaft in Frage stellen. (3)

Das mag so sein. Die Autoindustrie, skandalverwickelt, mit steigendem SUV-Absatz, der Bauboom und die geplante Industrie 4.0 führen gerade vor, dass es tatsächlich nicht nachhaltiger wird. Die deutsche Bundesregierung hat zwar versprochen, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken, aber sie sträubt sich gegen jeden Plan, das zu erreichen wie die Bewegung 'Ende Gelände' immer wieder feststellt. Bis jetzt kam es durch den Rückbau der Ex-DDR-Industrie im ersten Jahrzehnt nach der Wende und infolge der Finanzkrise in den Jahren 2008/09 zu einer Verringerung von 27 Prozent der Emissionen gegenüber 1990. Beides hat mit Klimapolitik nichts zu tun. 2016 stiegen die Emissionen wieder an. Auch die Regierungen in Paris oder Brüssel, in Moskau, Tokio oder Peking unternehmen viel zu wenig für das Klimaschutzziel von Paris. In den letzten 30 Jahren stieg der CO2-Ausstoß weltweit um 65 Prozent. (4) Das liegt mit an der Verallgemeinerung unseres westlichen Konsum- und Mobilitätsmodells. Schwellenländern wie Brasilien, China oder Südafrika gelingt es immer besser von den Vorteilen der kapitalistischen Produktionsweise zu profitieren. Damit gibt es ein weltgesellschaftliches „Außen“, wohin externalisiert werden könnte, immer weniger. Die sozialen und ökologischen Kosten schlagen häufiger und deutlicher auf die Regionen zurück, in denen sie entstehen. (3)

Wie prekär die Lage ist, das gab die Klimaschutz-Initiative „Mission 2020“ dem Hamburger G-20-Gipfel mit auf den Weg. „Die Klimamathematik spricht eine brutal klare Sprache. Wir können den Planeten nicht in den nächsten wenigen Jahren heilen, aber durch Unachtsamkeit könnten wir ihm bis 2020 eine tödliche Wunde zufügen, das heißt, wir haben etwa drei Jahre Zeit, die Klimawende herbeizuführen.“, meint Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in dem Fachmagazin „Nature“. (5)

Was wie schlechtes Timing aussieht, ist vielleicht auch ein Weckruf: In dem Moment, in dem die Klima-Uhr auf Mitternacht zugeht, gelangt in den USA ein Master of Desaster an die Macht und führt Krieg gegen alles, was nach Klimaschutz, Demokratie und Gemeinwohl aussieht. Naomi Klein, bekannt durch ihre Aufklärungen über Markenwahn ('No Logo') und Schockstrategien neoliberaler Politiker*innen, meint: „Wir verfallen nicht in einen Schockzustand, wenn etwas Großes und Schreckliches passiert; es muss etwas Großes und Schreckliches sein, das wir noch nicht verstehen.“ Wie also konnten wir an diesen irrationalen Punkt der Geschichte gelangen, an dem nur noch wenige Jahre bleiben, um mit einem Kurswechsel aus der imperialen Sackgasse heraus auf einen zukunftsfähigen Weg zu kommen?

Ohne die Geschichte zu kennen, ohne die Zusammenhänge und Strukturen zu sehen, die unseren Alltag prägen, können wir das nicht erklären. Da werden viele Menschen anfällig für Autoritätsfiguren und deren falsche Versprechungen. (6)

Im Versuch einer Antwort darauf, wie es soweit kommen konnte, könnten Ansatzpunkte für eine Vision liegen, die uns weg von den Katastrophen wieder auf sicheres Terrain führt:

Eine andere Geschichte erzählen und aufarbeiten

Unsere Zivilisation, die sich so nahe an ihr suizidales Ende gebracht hat, braucht einen kritischeren Blick auf ihre Herkunft. Gründungsverbrechen wie Sklaverei und Kolonialisierung sind nicht aufgearbeitet. Das heißt, sie wiederholen sich. Das zeigen die tödlichen Arbeitsbedingungen in den Lieferketten, Landgrabbing oder der Umgang mit Geflüchteten. Erst durch die Schocks der imperialen Kriege des 20. Jahrhunderts besann sich die Staatengemeinschaft auf einen anderen Umgang und gründete die UNO. Jetzt unterläuft sie dieses Reglement und gibt ihre Macht ab an eine verantwortungslose Bande von Oligarchen. Diese selbst sehen sich als verantwortungsbewusst handelnde Diener des Wohlstandes und Reichtums. Die Geschichte, die sie erzählen, verdichtet sich in stündlichen Meldungen von der Börse.

Es ist Zeit für einen großen Schritt nach vorn

Die aktuellen Krisen (Wirtschaft, Armut, Klima, Kriege, Flucht) hängen eng zusammen und verschärfen sich gegenseitig. David Korten fand dafür ein Bild, welches einen gemeinsamen Nenner erkennen lässt. Er sieht Erde und Menschheit als einen lebendigen Organismus. „Wenn aber einem Teil des Organismus erlaubt wird, sich grenzenlos zu vermehren-wie es beim Kapital der Fall ist-so ist das ein Krebs, der den ganzen Organismus zerstört“ (Ulrich Duchrow). Die Gegenstrategie besteht dann darin, dem Krebs Energie zu entziehen und alles zu fördern, was dem Leben dient. (7) Das ist der gemeinsame Nenner für den Widerstand als Prozess auf allen Ebenen in den Bereichen Frieden, Gerechtigkeit und Umwelt von den Einzelnen bis zu den sozialen Bewegungen und globalen Institutionen. Wird dieser Nenner weitgehend akzeptiert, könnte er dann nicht zum festen Punkt werden, von dem aus sich das System der Externalisierungsgesellschaft tatsächlich aus den Angeln heben lässt?

Nun dauert die Wandlung einer Zivilisation des Todes in eine Kultur des Lebens sicher Jahrzehnte. Aber die Zeit drängt. Das Klima wartet nicht auf unseren längst fälligen Bewusstseinswandel. (7)

Naomi Klein berichtet von einem landesweiten Treffen im Frühjahr 2017 in Kanada: „Chefs von Dachverbänden und Gewerkschaften, Leiter großer Umweltverbände, charismatische Anführer indigener Stämme und Ikonen der Frauenbewegung, Organisatoren und Denker, die zu den Rechten von Migranten, Open-Source-Technologien, Ernährungsgerechtigkeit, Wohnen, Glauben und mehr arbeiten“, fanden sich ein. Sie erstellten ein Programm ohne Partei, welches die Bedürfnisse sehr vieler Wählergruppen berücksichtigte und Überlegungen enthielt, wie das Gemeinwesen glücklicher und gesünder sein könnte. Gleichzeitig ging es um einen Weg, den Planeten zu heilen, statt ihn mit noch mehr Krieg und Umweltverschmutzung zu überziehen. Da die Krisen sich überschneiden, verzichtete man auf eine Rangordnung. Die Klimakrise bekam keinen Vorrang gegenüber dem Kampf gegen Armut und Rassismus. Es wurden integrierte Lösungen gesucht, etwa wie sich Emissionen radikal senken und gleichzeitig sehr viele gewerkschaftlich geschützte Arbeitsplätze schaffen ließen. Parallel ging es um die Frage, wie den vom Wirtschaftssystem am meisten Misshandelten und Ausgeschlossenen Gerechtigkeit zuteil werden kann.

Das sogenannte Leap-Manifest kann online unterstützt werden. In Kanada besteht Hoffnung, dass damit der Druck von unten auf gewählte Volksvertreter*innen Wirkung zeigt. (6)

Ob diese oder ähnliche Ideen- der Abschied vom imperialen Leben braucht Aktionen und Initiativen sowie eine Explosion utopischen Denkens. Noch ist vieles möglich.


Quellen:

  1. Jean Ziegler, Der schmale Grad der Hoffnung, Bertelsmann, 2017

  2. Wolfgang Kessler, Wem gehört die Welt?, Publik Forum, Nr. 13, 2017

  3. Stephan Lessenich, Neben uns die Sintflut, Hanser Berlin 2016

  4. Winfried Wolf, „Gerade jetzt! Wir retten das Klima!“ Lunapark 21, Heft 38, 2017

  5. Deutschlandfunk, Forschung aktuell, 29.06.2017

  6. Naomi Klein, Gegen Trump, S. Fischer 2017

  7. Gedenkrede zum 20. Juli in Imshausen am 20.07.2016 von Ulrich Duchrow, online verfügbar

Im Jahr 2015 feierte das ENS seinen 20. Geburtstag. Das war Anlass zur Selbstreflexion und zu folgenden Fragen: Mit welcher Entwicklungslogik arbeiten wir eigentlich? Was haben wir als ENS in 20 Jahren erreicht? Welchen Beitrag haben wir in der Beziehung und Problematik Nord-Süd oder Nord-Ost geleistet? Oder umgekehrt: Was hat das Entwicklungskonzept und seine Logik mit uns als Individuen, als Menschen, als Verein, als Netzwerk, als Zivilgesellschaft gemacht? Welchen Einfluss und welche Wirkung haben sie in den letzten 70 Jahren auf uns ausgeübt? (fairquer # 37, S. 6) Im Frühjahr 2015 waren Miguel Ruiz, Muruchi Poma und Antonia Mertsching auf dem Weg, um diese Fragen anhand von Thesen mit den Netzwerkmitgliedern zu diskutieren.

 

 

Wofür ist der Begriff Entwicklung noch brauchbar? Das Fortschreiten der Krise - vom klammen Wachstum bis zum Brexit, von der Arabellion bis zu den Geflüchteten oder vom Streit über Freihandel bis zur Überlastung des Klimas – all das verringert nicht gerade die Zweifel am Entwicklungsbegriff (vgl. auch fairquer #37, 2015, S. 4 ff).

Seit dem „Washington Consensus“ (1990) steht er für ein Bündel von Maßnahmen (Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung, kurz: Neoliberalismus) mit dem die Wirtschaft stabilisiert, das Wachstum gefördert und die damals vorherrschende Krise in Lateinamerika überwunden werden sollte. Funktioniert hat das nicht. Heute erscheinen uns die 1990er Jahre eher als gute alte Zeit, in der die Welt fast noch in Ordnung war. Die Europäer*innen hatten ihre Ruhe, abgesehen vom Balkan. Die Deutschen waren in Erwartung blühender Landschaften zum großen Teil mit sich beschäftigt.

 

Entwicklungspolitische NGO's verstehen Entwicklung ohnehin etwas anders: gerechter, nachhaltiger, fairer eben. Wenn es zu Gesprächen mit Politiker*innen kommt, führt das mitunter zu Kopf schütteln auf beiden Seiten. Oder mensch schlägt sich die Hand an die Stirn. Manchmal liegen Vorstellungen und Interessen Welten auseinander!

Im Juli 2017 trifft sich die Gruppe der 20 wirtschaftsstärksten Nationen der Welt (G20) in Deutschland, um über die Weltwirtschaft und globale Finanzstabilität zu diskutieren. Das vom ENS mitgetragene Entschuldungsbündnis erlassjahr.de setzt den G20 die D20 entgegen. Menschen aus 20 von Verschuldung betroffenen Ländern machen deutlich, warum sich am aktuellen Umgang mit Staatsschulden etwas ändern muss.

Kettly Noël bezeichnet sich gern als «schwarze Choreografin, die in Afrika arbeitet». Sie kommt aus Haiti, nicht aus Mali, wo sie heute wohnt – nach Zwischenstationen in Paris und Benin. In den «besseren Vierteln» der Hauptstadt Bamako hat sie ein schönes Haus mit einem Theater im Garten. Dort lebt und arbeitet sie, und wenn sie sich in eine Idee verbohrt, verlässt sie das Grundstück mitunter tage- und wochenlang nicht. Sie ist eine Besessene, eine Visionärin, die den afrikanischen Tanz von der Tradition befreien und als zeitgenössischen neu erfinden will. Diesen Ansatz teilt sie mit vielen Choreografen des Kontinents, aber sie ist vermutlich die radikalste. Um sich mit ihren Kollegen auszutauschen, hat sie das panafrikanische Festival Dense Bamako Danse gegründet.

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