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Syrische und irakische Flüchtlinge kommen an Skala Sykamineas (Lesbos) an Syrische und irakische Flüchtlinge kommen an Skala Sykamineas (Lesbos) an Foto: Ggia - Eigenes Werk

Wie können Fluchtursachen bekämpft werden?

geschrieben von  Uwe Schnabel Sep 23, 2016
Hintergrund

In der fairquer # 37 wurde auf den Seiten 32 f. im Artikel "Fluchtursachen - Was haben sie mit unserem wirtschaftlichen und politischen System zu tun?" nachgewiesen: "Somit sind für einen Großteil der Flüchtlinge das kapitalistische System und das in diesem Sinne handelnde westliche politische System entweder hauptverantwortlich oder sie haben zumindest einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet." Daraus folgt schnell die Frage nach einer Alternative, also: Wie können Fluchtursachen bekämpft werden?

Wenn die mit fluchtverursachenden Regierenden zum Beispiel der BRD von Bekämpfung der Fluchtursachen sprechen, meinen sie Verträge mit den Fluchtherkunfts- und -transitländern (zum Beispiel Türkei, in Nordafrika: wie Libyen, Eritrea und so weiter) zur Fluchtverhinderung. Diese führen zur Bekämpfung der Geflüchteten unter anderem mit militärischen Mitteln, zum Beispiel indem verstärkt die Grenze kontrolliert, mehr Menschen abgeschoben, eingesperrt oder sogar erschossen werden. Allerdings legt die Bundesregierung Wert darauf, nicht selbst dafür verantwortlich gemacht zu werden. Eine Aufdeckung dieser menschenfeindlichen Folgen führt aber nicht zur Politikänderung, eher zur Rechtfertigung dieser Verträge. Die Maßnahmen der Bundesregierung verhindern nicht die Flucht von vielen Menschen, sondern führen zu mehr Binnengeflüchteten und zu noch mehr Toten. Stattdessen geht es den Menschenrechtsbefürwortenden, wie dem Autor, um die wirkliche Bekämpfung der Fluchtursachen. Und es geht nicht um die Verhinderung von Migration, denn Menschen sollen das Recht haben, ihren Wohnort frei zu wählen. Das führt zwar dazu, dass viele Menschen dorthin gehen, wo sie sich ein besseres Leben versprechen. Wegen großer Ungleichheiten wandern insbesondere gutausgebildete und leistungsfähige Menschen in die reicheren Gebiete ab. Das spart hier Ausbildungskosten und führt zur weiteren Verarmung der Herkunftsregionen. Gemildert wird dies teilweise durch Überweisung eines Teils des erzielten Einkommens in die Herkunftsregion. Aber das kommt eher den dort lebenden Familienangehörigen und nicht den Lebensverhältnissen der gesamten Gesellschaft, was die Auswanderung unattraktiv machen würde, zugute. So entsteht ein Teufelskreis der Ungleichheit. Dieser kann aber nicht dadurch bekämpft werden, dass Menschen an Auswanderung gehindert werden, sondern nur dadurch, dass sie in ihrer Herkunftsregion so gut leben können, dass die dort vorhandenen sozialen Bindungen stärker sind, als die Hoffnung auf ein besseres Leben anderswo. Und damit wären wir wieder bei der Bekämpfung von Fluchtursachen.

 

Konkrete Vorschläge

In einem ersten Ansatz ist es naheliegend, die zum Beispiel in der fairquer # 37 erwähnten Fluchtursachen zu bekämpfen.

Dazu gehört, dass die Menschen ihre Bedürfnisse ebenfalls in ihrer Heimat befriedigen können. Ein wesentlicher Teil ist die Ernährungssouveränität, das heißt die selbstbestimmte Versorgung mit Nahrungsmitteln. Sie müssen zum Beispiel genug landwirtschaftliche Nutzfläche und Fischfanggründe nutzen können, um Nahrungsmittel für den Eigenbedarf und die regionale Versorgung gewinnen zu können. Dafür benötigen sie außerdem entsprechendes technisches Gerät und die Fähigkeiten für eine ökologisch verträgliche Bewirtschaftung. Somit dürfen sie nicht auf den Kauf von teurem Saatgut, Schädlingsbekämpfungs- und Düngemitteln angewiesen sein. All das setzt in vielen Ländern eine umfassende Agrarreform, einschließlich der Umkehr des Landgrabbing voraus. Außerdem müssen sie Überschüsse auf den lokalen Märkten loswerden können, um sich die nicht selbsterzeugten Produkte leisten zu können. Das setzt die Ersetzung vorhandener Freihandelsabkommen und Billigexporte aus den westlichen Industrieländern durch eine faire Partnerschaft voraus.

Analog gilt dies nicht nur für die Landwirtschaft und sonstige Nahrungsmittelproduktion, sondern ebenfalls für die übrige Rohstoffgewinnung und -verarbeitung. Konkret bedeutet das, die Rohstoffgewinnung zu vergesellschaften, entsprechende Infrastruktur zu deren Verarbeitung bereitzustellen, die demokratische Kontrolle darüber, auch um soziale und ökologische Folgeschäden möglichst zu vermeiden, der faire Handel der so erzeugten Produkte und ein sozial und ökologisch verträgliches Recycling von Abfällen zu gewährleisten. Das erfordert einen größeren Ressourcen- und Wissenstransfer in diese Gebiete einschließlich der Nutzung traditioneller Mittel und Methoden. In vielen Gebieten war schon traditionell ein großes Wissen über eine naturverträgliche und menschenfreundliche Handlungsweise vorhanden. Dieses und die Gesellschaften, die dieses Wissen umsetzten und weitergaben, und die notwendigen Ressourcen dafür wurden teilweise durch die westlichen Staaten systematisch zerstört bzw. geplündert. Reste davon sind noch vorhanden und können im Rahmen der Süd-Süd-Zusammenarbeit weitergegeben werden. Auch wir können viel davon lernen. Das muss aber ermöglicht werden. Dafür sind gleichfalls Ressourcen notwendig. Da diese Länder schon jetzt größtenteils überschuldet sind, kann dies nicht kreditfinanziert werden, im Gegenteil. Zumindest ein Großteil der Schulden muss erlassen und der Transfer als Entschädigung für bisher verursachte Schäden oder als solidarische Unterstützung oder durch Entwicklungszusammenarbeit (nicht als Exportförderung oder sonstige Interessendurchsetzung) geleistet werden. Das kann zum Beispiel im Rahmen der Süd-Süd-Zusammenarbeit erfolgen (zum Beispiel Prinzip von ALBA).

Zu den Bedürfnissen gehören weiter Bildung, Gesundheit, sauberes Wasser, Energie, Kommunikation, Verkehr und so weiter. Doch müssen die Länder bzw. die Gesellschaften die notwendigen Mittel haben, um diese öffentliche Infrastruktur für alle zu gewährleisten.

Elementar ist weiterhin ein Leben in Sicherheit. Das bedeutet unter anderem, dass endlich die westlichen Staaten keine Waffen exportieren, keine militärischen Auslandseinsätze durchführen und nicht mit anderen Methoden andere Staaten destabilisieren dürfen. Aber die Folgen dieser Politik verschwinden nicht mit derem Ende. Es ist notwendig, zivile Gegenbewegungen zu stärken, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen und so den Einfluss der bewaffneten Mächtigen zurückdrängen. Allerdings hat die Bundesregierung daran kein Interesse. Aktivitäten seitens der Bundesregierung dienen eher zum Regime-change, also zum Sturz ihnen unliebsamer Regierungen bzw. zur Entwaffnung von Befreiungsorganisationen. Das gleiche gilt für wirtschaftlich mächtige Organisationen, wie den Stiftungen westlicher Milliardäre. Deshalb kann diese Stärkung ziviler Gegenbewegungen nur von unten geschehen. Die Bundesregierung kann dies bestenfalls ermöglichen. Dazu gehört zusätzlich, dass vorhandene Konflikte durch Verhandlungen und durch eine Stärkung des zivilen Friedensdienstes gelöst werden müssen. Es dürfen nicht westliche Konzerninteressen durch die Installierung oder Unterstützung von einheimischen repressiven Regierungen, im Konzerninteresse handelnden bewaffneten Gruppierungen oder wirtschaftlich mächtigen Akteuren durchgesetzt oder unterstützt werden.

Aber viele Schäden sind schon jetzt angerichtet. Böden sind zerstört, Fischfanggründe leergefischt, Trinkwasser verseucht und so weiter. Deshalb müssen diese Schäden beseitigt und Ausgleichsmaßnahmen verwirklicht werden.

 
Unsere Aufgaben

Allerdings würde selbst ein Teil dieser Maßnahmen grundsätzliche Veränderungen erfordern. Es stünden nicht mehr so billige Rohstoffe zur Verfügung, der Müll kann nicht mehr so einfach abgeschoben werden und vieles müsste gerechter verteilt werden. Die Hauptprofiteure des bisherigen Systems werden sich deshalb mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehren. Sie sind zwar nur eine kleine Minderheit, verfügen aber über einen Großteil der Ressourcen und der damit verbundenen Machtmittel. Sie werden wie schon bisher die Bevölkerung der westlichen Industrieländer und den nicht so armen Teil der Bevölkerung in den übrigen Ländern gegen diese Veränderungen aufhetzen. Schon bisher ist diese Teile-und-herrsche-Politik sehr erfolgreich. Beispiele zeigen, dass durch Mobilisierung der sogenannten "Mittelschicht" sozial handelnde Regierungen gestürzt werden können (zum Beispiel Thailand, Argentinien, Brasilien). Dabei würde sogar die "Mittelschicht" von diesen notwendigen Veränderungen gegenüber dem gegenwärtigen Zustand und gegenüber den reichen Kapitalbesitzenden bevorteilt.

Somit ist es unsere Aufgabe, die teilweise vorhandene Solidarität in der Bevölkerung und die starke Unzufriedenheit mit dem wirtschaftlichen und politischen System zu nutzen, um bessere Möglichkeiten im Kleinen und im Großen aufzuzeigen und die Menschen dafür zu mobilisieren. Das bekämpft nicht nur die Fluchtursachen, sondern führt gleichfalls zu einer Verbesserung bei uns und entzieht denjenigen die Gefolgschaft, die mit demagogischen Parolen scheinbar gegen das herrschende Systems sind, aber in Wirklichkeit die Bevölkerung gegen noch Schwächere aufhetzen.

Schließlich wäre noch zu überlegen, ob die notwendigen Änderungen überhaupt in einem auf Kauf und Verkauf und Einkommenserwirtschaftung beruhenden System realisierbar sind oder ob nicht eine grundsätzliche Umstellung auf ein bedürfnisorientiertes System notwendig ist. Aber dazu ein andermal mehr.

Letzte Änderung am Donnerstag, 20 Oktober 2016 13:40

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